On Ochsentour mit zwei jungen Wilden
Die Digital Natives kommen ins Wahlkampfalter: Eine, die intuitiv und intensiv die sozialen Medien für ihren Wahlkampf beackert, ist Sarah Fuchs. Noch weiter geht ein SVP-Kandidat aus Oberrieden: Adrian Wegmann schneidet seine eigenen Videos – und stattet offline tausende Hausbesuche ab.
5. Februar 2023 Mark Gasser
Kommunikativ – on- wie offline: Sarah Fuchs (rechts) kürt gemeinsam mit Corinne Hoss die Uetiker zu Königinnen und Königen. Und manchmal gibt’s auch ein wenig Zeit für Politik. Vor allem Fuchs ist auch auf den sozialen Medien sehr aktiv.
Wie in Dutzenden Gemeinden im Kanton wurde auch von der FDP-Ortspartei in Uetikon am See der diesjährige Dreikönigstag genutzt, um Wahlkampf für die Kantonsratswahl vom 12. Februar zu betreiben. Auch wenn die Uetiker an diesem Morgen nicht sehr diskussionsfreudig sind und einige beim Vorbeigehen abwinken («Ich gehe nicht wählen, tut mir leid», meint einer), sind doch eine Handvoll Bürgerinnen und Bürger bereit, sich zu Kuchen und Flyer auch in ein Wahlgespräch verwickeln zu lassen. «Wenn ihr schlau seid, enthalten alle Kuchenstücke einen König», ruft eine Passantin lachend.
Die zweite Schicht vor dem Dorfladen schieben Corinne Hoss, die seit gut drei Jahren für den Bezirk Meilen im Kantonsrat sitzt, und die Newcomerin und mögliche Sitznachbarin im Kantonsrat in spe, Sarah Fuchs. Hoss meint anerkennend: «Mir fiel früh auf, wie gut Sarahs Wahlkampf ist. Mit immer neuen Themen und Bildern, die jeweils zum Thema passen». Hoss spielt natürlich auf die digitale Präsenz ihrer Listenkollegin Sarah Fuchs an. Für die langjährige Schulpräsidentin Hoss selber ist es nicht der erste Wahlkampf. Sie wendet sich kurz ab: per Telefon erhält sie grade positiven Bescheid, dass sie bei einer Überbauung in ihrer Wohngemeinde Zollikon ein Plakat aufstellen darf. «Ihre Mieter seien politisch entspannt unterwegs, meinte die Besitzerin», freut sich Hoss. Auch wenn einige Passanten eher gestresst vorbeiziehen: Entspannt geht auch der morgendliche Traditionsanlass, welchen jeweils die Vertreter der FDP-Ortspartei organisieren, bei einigen lockeren Gesprächen mit Einwohnern über die Bühne.
Shootingstar auf der FDP-Liste
Etwas Anspannung ist der 35-jährigen Sarah Fuchs indes anzumerken. Gleichwohl ist sie, wenn man der Kampagnenagentur campaigneers zuhört (mehr auf S. 10-12), die Musterschülerin für einen modernen Wahlkampf. Ihr Engagement habe sich bereits bei einer Schulung der FDP-Frauen gezeigt. Bei zwei Abgängen der FDP im Kantonsrat ist Fuchs zu recht motiviert: Sie liegt auf dem aussichtsreichen dritten Listenplatz bei bislang drei Sitzen. Der Shootingstar auf der FDP-Liste weiss auch, welche Online-Plattformen sie für welche Themen bespielen muss – und in welcher Frequenz. Im Berufsnetzwerk LinkedIn spielt ihr in die Karten, dass sie durch ihre Tätigkeit als Politikverantwortliche bei Swissmem ein sehr grosses Netzwerk aufgebaut hatte. «Da beobachte ich die grösste Community-Aktivität. Ein Nachteil ist aber, dass man da keine politische Werbung schalten kann.» Das ist bei Facebook und Instagram anders. «Man erreicht da mit relativ wenig Geld eine grosse Reichweite», so Fuchs. Nach Ortschaften und Demografie lässt sich das Publikum hier auch gezielt erreichen. Eine eigens für Politwerbung geschaltete Facebookseite habe noch nicht viele Follower, doch das Netzwerk wachse nun laufend. «Ich nutze alle Kanäle parallel. Aber ich überlege mir, zu welcher Uhrzeit ich wo welche Inhalte poste.» Auf LinkedIn ist man vor allem während der Arbeit – Wochenenden sind hier also nicht günstig. Im Zug sind viele auf dem Nachhauseweg auf Instagram. Sie legt sich so auch schriftlich ihren Plan zurecht.
Plakate offline, Likes online
Die derzeit auf Instagram inflationär abgefeierten Plakataktionen zahlreicher Kantonsratskandidierenden gehören auch für Fuchs zur Ochsentour. Sie nimmt den Wahlkampf als Teamwettbewerb wahr, sieht sich nicht als Einzelkämpferin. «Schliesslich wollen wir als Partei möglichst viele Stimmen und Sitze.» Das gilt heute genauso auch online: Auf den sozialen Medien seien mehr Likes wichtig für den Algorhithmus – weil der Beitrag dann in mehr Feeds ausgespielt wird. «So liken wir uns natürlich gegenseitig.» Bekanntlich werfen viele Wählende die ganze Parteiliste ein, statt zu streichen, panaschieren, und zu kumulieren. Das möchte man durch die Personalisierung des Wahlkampfs wiederum verhindern. Sarah Fuchs fällt gerade im digitalen Wahlkampfdschungel auf, da sie noch etwas mehr macht als andere: Etwa einen Post am Tag des Lachens, oder einen zur Freiwilligenarbeit – mal locker, mal ernst, mal privat, mal politisch. «Es wird schnell unterschätzt, wie viel Zeit man braucht für einen Post», so Fuchs. Mit solchen Inhalten gibt sie sich allerdings noch kein politisches Profil. Deshalb sei das persönliche Gespräch am FDP-Stand am Dreikönigstag genauso wichtig wie die digitale Dauerberieselung. Einige werfen einen verstohlenen Blick auf den Stand. «Man merkt bereits der Körpersprache an, ob jemand angesprochen werden will oder nicht», beobachtet Fuchs. «Ich selber mag Menschen, höre gern zu. Gerade im Wahlkampf ist es wichtig, sich mit Menschen auseinanderzusetzen.» Nach einem Gespräch mit einem Mann über Prämienverbilligungen meint Fuchs, es sei wichtig, zuzuhören und zu verstehen: Wieso wünscht sich das jemand? Kommunikationsfreudig sei sie ohnehin, so müsse sie sich auch online nicht verstellen, um etwas zu versprechen was sie nicht halten könne.
Kontakte und Kilometer
Szenenwechsel. Auch ein SVP-Mann aus Oberrieden (Bezirk Horgen) knüpfte gern und viel Kontakte für den Wahlkampf: Adrian Wegmann aus Oberrieden hat wohl den physisch anstrengendsten Wahlkampfmarathon – und wird seinen «Marsch durch die Quartiere» in den nun bevorstehenden Ferien weiterführen. Der Vizepräsident und Wahlkampfleiter der SVP Bezirk Horgen, sowie Werbemann der SVP Bezirke Horgen und Affoltern, hat das klassische Klinkenputzen auf die Spitze getrieben – und ist mittlerweile für seine Wahlkampfaktionen wie Hausbesuche bekannt: Bereits im Frühjahr 2022 hat er 2000 Oberriedner Haushalte besucht. Gegen Ende Jahr folgten im Hinblick auf die Kantonsratswahlen (wo er bei 4 SVP-Sitzen den 5. Listenplatz belegt) weitere 3000 Haustüren im ganzen Bezirk. Auf seiner letzten Besuchstour diesen Januar begann er, zu selektionieren: «Da konzentriere ich mich ganz klar auf Gemeinden mit Parlament: Da gehe ich davon aus, dass die Leute schon wissen, was kumulieren und panaschieren ist.» In Versammlungsgemeinden werde das oft nicht verstanden, wie er bereits in Einzelgesprächen erfahren hat. Das Besondere: Die Klinken der Einwohner behängte er, wenn sie ihm nicht geöffnet wurden, mit einem Wahlflyer in Form eines Ausrufezeichens mit Smiley. Total sei er im letzten Jahr 200 Stunden unterwegs gewesen bei einem Schnitt von 25 Besuchen pro Stunde. Die 3000 Hausbesuche im Bezirk warfen rund 2000 Adressen ab, die er brieflich nun anschrieb. Knapp jeden 15. Brief ergänzte er mit einem Post-it mit handgeschriebener Nachricht zur Begegnung an der Haustür, die er seinen Gesprächsnotizen entnahm. Auf seiner Webseite beschreibt Wegmann die vielen Begegnungen, die er dort machte, wo jemand zu Hause war: Neuzuzügern half er einmal spontan mit, trug für andere Müllsäcke oder (für ein älteres Ehepaar) Zeitungen auf die Strasse. Ein Blinder wies ihn auf die fehlende Möglichkeit hin, in der Schweiz ohne Sehkraft selbständig zu wählen. Auch Schattenseiten des Bezirks offenbarten sich, etwa in vielen «Working Poor» Haushalten in Quartieren wie der Sihlmatten in Adliswil, wo viele befürchteten, wegen geplanter Megablocks und überteuerter Wohnungen keine Bleibe mehr zu finden. Und besonders fiel Wegmann die Überfremdung durch die vielen fremdsprachigen Kulturen und die fehlende Verständigung in einigen Wohnblocks auf. Doch eher überraschend kantige Worte für einen stellvertretenden Leiter der Arbeitslosenkasse des Kantons Zürich. «Wenn schon Verwaltungsangestellter, dann in dem Bereich, der am nächsten zum Gewerbe ist: der Arbeitslosigkeit», sagt Wegmann dazu, der sich als Zwischenstation zum Betriebsökonom weiterbildete. Aber gerade in der Lehre als Feinmechaniker habe er «gelernt, zu arbeiten».
Elevator Pitch für die Wahl
Weiter erinnert sich Wegmann an einen jungen Mann, der quasi als Bewerbungsgespräch, um gewählt zu werden, einen «Elevator Pitch» von ihm verlangte; einen Vietnamveteranen, dem Wegmann die Schweizer Demokratie erklärte; an eine Familie, der er Tipps gab für eine Einsprache gegen eine Mobilfunkantenne; an eine einsam trauernde Rentnerin, die nachts zuvor ihren Bruder verlor. Aber Emojis werden in der Regel digital verschickt, nicht an Türklinken gehängt. Darin zeigt sich auch der Widerspruch von Wegmanns Wahlkampf zur heutigen Zeit: Auch Wahlkämpfe werden vermehrt digital abgewickelt. «Ich muss jedoch immer wieder feststellen, dass die Menschen das Analoge mehr und mehr wieder schätzen. Gerade bei meinen persönlichen Besuchen hat sich eine von sieben Personen bedankt, dass ich das überhaupt mache und vorbeikomme», erwähnt Wegmann ein weiteres statistisches Detail seiner Tür-Aktion. Und er habe dazugelernt: «Vor vier Jahren habe ich einen extrem digitalen Wahlkampf gemacht und habe mich vom Platz 11 (von 15 im Bezirk) um fünf Plätze verbessert.» Deshalb habe er ganz bewusst seine Strategie erweitert. Auch sein digitaler Wahlkampf verschlingt viel Energie. Für seine Videos benutzt der findige Wegmann unter anderem die autodidaktisch erlernte 3D-Software Blender, dazu professionelle Software zum Schneiden und um Sound einzuspielen. Für die Aufnahmen hat er auch Videolampen und einen Greenscreen angeschafft, «das musste ein spezieller, knitterfreier Theaterstoff sein, um Schattenwurf zu verhindern». Für ein kürzlich auf Youtube geladenes, 16 Sekunden langes Video über Steuern und Abgaben habe er 20 Stunden investiert. Öfter verbindet er auch den Off- und Online-Wahlkampf: Kürzlich hat er erstmals von seinen Hausbesuchen ein TikTok-Video gepostet. «Manchmal bekomme ich zu hören: Du hast ja kaum Inhalte. Ja, das ist richtig: Aber auf den sozialen Medien will niemand Inhalte.» Doch man müsse differenzieren: Gerade für SVP-typische provokative, plakative Inhalte sei Instagram sehr geeignet. Obwohl Beiträge wie jener, in dem er sich als «Tempoaktivist» auf die Seestrasse klebte (dank Bildbearbeitung), viele Reaktionen und Kommentare erhalten, vermutet er, dass bei Pol-Parteien die Nutzer zurückhaltend sind mit Likes.
Wie viel ist zuviel Wahlkampf?
«Es kommt auf den Mix an. Es gibt nicht die Wahlkampfmassnahme oder -plattform schlechthin, um eine Wahl zu gewinnen», findet auch Sarah Fuchs von der FDP. Sie investiere viel Zeit in den Online-Wahlkampf, aber auch in klassische Standaktionen. Wie viel das kostet, lässt sie offen.
Wegmann schätzt, dass er im ganzen Wahlkampf nun brutto bei rund 20 000 Franken Ausgaben angelangt ist (inklusive Online-Massnahmen). Am teuersten seien die rund 70 APG-Plakate, die er alle selber gestaltete, deren Flächenkosten er aber mit anderen Kandidierenden teilt. Anderseits habe er mit seiner Kleinstagentur viele Aufträge im Wahlkampf übernommen, das entlaste seine Wahlkampfkasse. «Es ist ein sehr kosteneffizienter Wahlkampf, weil ich nahezu alles selber machen kann.» Für den Briefversand verwendete er einen eigenen Drucker, «und meine Freundin und Eltern habe ich eingespannt zum Falten und Verpacken.» Und so ist die Frage berechtigt: Macht er vielleicht nicht zu viel, wenn über Wochen seine ganzen Feierabende an fremden Haustüren verbracht werden, dazu noch in den bevorstehenden Ferien im Januar? Wegmann findet nicht. Denn diesen Vorwurf, dass er vielleicht zu wenig für die Wahl getan habe, will er sich nicht mehr machen müssen: Er habe sich «genervt» vor vier Jahren – nicht wegen der fehlenden 250 Stimmen, «sondern weil mir an diesem Sonntag bereits alles eingefallen ist, was ich noch hätte tun können. Das zumindest passiert mir am 12. Februar 2023 ganz bestimmt nicht, weil diesmal habe ich einfach alles gemacht, was möglich ist. Zudem: ich muss ja daran glauben, sonst könnte ich das alles gar nicht tun.»
Nachhaltig Kontakte schaffen
So machen beide Kandidierenden sowohl die digitale als auch physische Ochsentour mit, wo sie können. Fuchs spricht manchmal auch mit Leuten im Bus, denen ihre Flyer oder ihr mit dem FDP-Logo beklebter Laptop auffällt. Vereinzelt sprächen sie Menschen an, die sich an einer Begegnung beim Flyer-Verteilen erinnernt. Deren Begeisterung für ihr Engagement motiviere sie zusätzlich. «Eine Dame, mit der ich auf ihrem Weg zum Einkaufen bei einer Flyer-Aktion vor dem Migros Hombrechtikon gesprochen hatte, kaufte mehrere Mini-Wärmebeutel für uns Kandidierenden.» Das zeige: Man kann nicht nur online präsent sein. «Der persönliche Eindruck einer Person ist viel stärker, wenn er von Angesicht zu Angesicht übermittelt wird.» Nach Corona habe sie ohnehin ein erhöhtes Mitteilungsbedürfnis wahrgenommen. Das komme ihr im Wahlkampf wohl entgegen. Nachdem das FDP-Banner eingerollt, der Marktstand abgebaut und die letzten beiden Kuchen noch verschenkt sind, kommt ein 82-jähriger SVP-Wähler mit seiner Frau nach dem Einkauf vorbei und wünscht Sarah Fuchs alles Gute: «Der Kampf dagegen, dass wir über unsere Verhältnisse leben, muss weitergehen.» Er sei zwar ursprünglich Österreicher, habe aber «schwer gchrampfet», um das Land mit aufzubauen. «Und ich habe Hoffnung für die neue Generation.»
Sarah Fuchs im Gespräch
Mark Gasser
Chefredaktor
Zürcher Wirtschaft
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